Die Feldenkrais Methode in München

Literatur

Bücher von Moshe Feldenkrais

  • Bewusstheit durch Bewegung
  • Abenteuer im Dschungel des Gehirns
  • Die Entdeckung des Selbstverständlichen
  • Das starke Selbst
  • usw...

Sekundärliteratur und interessante Fotos

  • können Sie bei Google finden

Text für besonders!! Interessierte :-)

Text über die Feldenkrais Methode aus der "Neue Zürcher Zeitung" Nr. 172/52 vom 27./28. Juli 1985

Das Rechte, das Richtige, wieder und wieder...

"Zur Erinnerung an Moshe Feldenkrais" von Friedhelm Kemp

Vor einem Jahr, am 1. Juli 1984, starb in Tel Aviv einer der liebens- und lobenswürdigsten Menschen unserer Zeit: Moshe Feldenkrais, geboren 1904 in Slawuta (im damaligen Polen), Physiker und Physiologe, der Erfinder einer neuen bewegenden Methode, menschliche Verhaltensschäden und -Störungen zu verbessern; ein «Lichtbringer» durch Wort und Zugriff. In den dreißiger Jahren für und mit Frederic Joliot-Curie in Paris tätig, während des letzten Krieges Berater der britischen Admiralität, anschließend Leiter des wissenschaftlichen Forschungsinstitutes der Armee in Israel, gründete Feldenkrais 1950 ein Institut in Tel Aviv, wo er Leidende aus aller Welt behandelt und eine Reihe bedeutender Schüler ausgebildet hat.


Feldenkrais war - man gebraucht das Wort nicht gerne - ein Weiser; kein Guru, kein Medizinmann, kein Wunderdoktor, auch kein kontemplativer Büffelreiter, sondern durch und durch ein von fragend gelassener Gescheitheit, mit horchend handelnder Spontaneität durchdrungener Freund der Diesseitigkeit und ihrer unerschöpflichen Behelfe. (Erwähnt zu werden verdient auch, dass er seinerzeit den «Judo- Club de France» gegründet hat.)


Vier Bücher hat Feldenkrais nach dem Krieg veröffentlicht, deren erstes bis heute nur in englischer Sprache vorliegt: «Body and Mature Behaviour. A Study of Anxiety, Sex, Gravitation Learning».1 Das zweite erschien zuerst auf Englisch und wurde, wie die beiden folgenden, von Franz Wurm aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Auch diese drei Bücher müssen, da sie die wichtigsten Stichworte liefern, mit ihrem vollen Titel angeführt werden: «Der aufrechte Gang. Verhaltensphysiologie oder Erfahrung am eigenen Leib, mit zwölf exemplarischen Lektionen»,2 heute «Bewusstheit durch Bewegung. Der aufrechte Gang», «Abenteuer im Dschungel des Gehirns. Der Fall Doris»3 Und als letztes «Die Entdeckung des Selbstverständlichen».4


Die von Feldenkrais entwickelte Methode körperlichen und über den Körper weiteren Lernens hat zwei Anwendungsgebiete. Erstens dient sie der Verbesserung von Haltungsschäden in der Gruppe durch gemeinsame Übungen oder am Einzelnen über Schallplatte und Buch, in einem Lernprozess, der durch eine Folge jeweils abwechslungsreich koordinierter Bewegungen ein erhöhtes Körperbewusstsein anstrebt und über dieses neue, bessere Verhaltensschemata hervorbringt. Darüber hinaus gewinnt diese Methode eine gesteigerte therapeutische Wirksamkeit in der nichtverbalen «Funktionalen Integration», bei der es darum geht, mehr oder minder schwer geschädigte, gestörte, gehemmte Menschen (Gehirngelähmte, Spastiker) aus der Hilflosigkeit ihres Ungeordnetseins durch Entlastung, sanfte Behandlung, achtsam geführte Dreh- , Beuge- und Streckbewegungen, unter Anwendung in jedem Fall neu zu erkundender Koordinationen und Dissoziationen von; Bewegungsabläufen für sich und auf die Welt, hin zu berichtigen.


Beide Male wird Bewusstwerdung durch Bewegung, eigene oder hilfreich gelenkte, erzielt. Es geht um ein Lernen; nicht um eines, das auf Wissenserwerb und -besitz aus ist, sondern um eine durch «Innewerdung» tiefere «Einschreibung», die unseren Habitus verändert und damit, durch leichteres, angenehmeres, anmutigeres Verhalten, den ganzen Menschen in seinem Verhältnis zu sich selbst, zu seinem Nächsten, zur Welt und, wer weiß, die Welt selber verbessert. Feldenkrais ist ein Menschen- und Weltverbesserer. Wie aber? Wodurch? Durch nichts als eine Anleitung zur Selbsterfahrung.


Auf keinem mystischen oder esoterischen Wege. Fürs erste ist da nur von Knochen, Muskeln, Nerven die Rede; vom Atmen auch. Erläutert, verdeutlicht werden allereinfachste Vorgänge der Körperstatik und -dynamik, vermittels deren seit je tierische Organismen in ihrer Umwelt sich zurechtfinden und überleben; weniger durch absichtliche Anstrengungen als durch die in der Erbmasse ihnen überlieferten Antriebe zur Anpassung. Als Naturwesen lernt der Mensch wie das Tier, nur sehr viel langsamer; als Geist- und Kulturwesen jedoch, zur Freiheit bestimmt (herausgefordert, verurteilt, wie man will), lernt, erwirbt und gewinnt er in unendlicher Progression immer Neues, Anderes, Unvorhersehbares. Fast im gleichen Zuge - und heute in steigendem Masse, vergisst, verliert er, beschädigt sich, bringt sich durcheinander, und sieht sich deshalb genötigt, das Wie seines Lernens (und Lehrens) zu überprüfen.


Hier setzt Feldenkrais, wie man es immer tun sollte, an der Basis ein, bei der Sinnlichkeit, bei der sinnlichen Wahrnehmung unserer selbst, bei unserer Befindlichkeit als sich wandelnde, reifende, alternde Organismen in einer uns vorgegebenen Welt. Die sich, je nachdem, mehr oder weniger geschickt oder unbeholfen anstellen; die aber imstande sind, aus Unbehilflichkeiten, Behinderungen, Mängeln, Schäden, Verlusten unter Umständen mehr und Besseres zu lernen als aus vermeintlichem, zu perfektem Vollzug erstarrtem Können. Feldenkrais plädiert für unser aller unausgeschöpfte Begabung, ja Genialität. Zu deren Entwicklung nur eines nottut: Aufmerksamkeit, deren anderer Name Geduld lautet; und ohne welche Klugheit nicht so zu heißen verdient. Stattdessen wollen wir das, worauf es ankommt, meist rasch, mit Verbissenheit und Gewalt erreichen. (Ungewarnt vor allem Stress.) Gewalt gegen sich selbst anwenden beim Lernen heißt aber, sich auf die Dauer mit Sicherheit beschädigen.


Es geht hier nicht um Leistungssteigerung und ihre Akklamation; es geht um verfeinerte Aufmerksamkeit, das Gewahrwerden der kleinsten Reize. Wir sehen, hören usw., vor allem: wir spüren; spüren uns, nehmen wahr, was wir tun, wie wir es tun, wie wir dieses Tun verändern, verbessern könnten. Nicht weil wir der Werkmeister über uns selbst wären, wir sind bereits eingerichtet, sondern weil wir dieser Einrichtung uns immer genauer bewusst werden und uns abgewöhnen könnten, ihr unablässig zuwiderzuhandeln. Wir könnten uns besser «einstellen», uns «umprogrammieren», aus Dilettanten Virtuosen des Alltags werden.


Verhalten und Haltung, haben sie nicht et-was miteinander zu tun? Haltung ohne ein unauffällig mir und der Lage angemessenes Verhalten ist nur Attitüde. Meinungen, Ansichten sind Accessoires. Gesinnung aber hält zusammen, bindet, ermöglicht gemeinsames Wirken. Und Gesinnung - wie der Ton einer Saite - resultiert aus Rechtgestimmtheit, Spannung, Haltung.


Wir können uns sozusagen umspannen, umstimmen, dadurch dass wir auf uns horchen, achtsam, geduldig, zuwartend. Und immer deutlicher gewahr werdend, was es mit den kleinsten Veränderungen auf sich hat. Die Qualität des Wenigen, des Fast-Nichts; der Langsamkeit; der Wiederholung; der Pause (Zäsuren gliedern); des Ausruhens (schlafen lernen!) schließlich die höchste Kunst: das Bewusstgemachte in ein unbewusst Ablaufendes sich verwandeln zu lassen, dessen wir uns jederzeit, an jedem Punkte und in jeder Phase vergewissern können.


Lernen? Man lernt nicht durch den Kopf allein; man lernt mit allen seinen Gliedern und Organen, mit der Haut, mit dem ganzen Körper; mit Sinnen, Herz, Gemüt und Verstand« allen in-, mit- und durcheinanderlaufenden Rädern unserer beseelten Wundergeschöpflichkeit. Nicht unser Schicksal, doch wir selber, vom Scheitel bis zur Sohle, sind uns jetzt, hier, morgen und übermorgen in die Hand gegeben. Es lohnt sich, es stärkt, das zu wissen, es an sich selbst zu erfahren. Leben ist in seinem kleinsten Bruchteil unabsehbar der Verbesserung fähig, die als solche, mit Vergnügen, jetzt und hier zu erstreben, zu wecken ist («und mehr bedarf nicht»).


Feldenkrais redet - das weiß man nach der Lektüre seiner Bücher und nach nur wenigen vollzogenen Übungen der allereinfachsten Art von nichts als dem Selbstverständlichen, das wir schon immer hätten wissen können, wenn unsere Augen nicht «gehalten» wären. Unsere Bedrängnis beginnt dort, wo wir einsehen müssen, dass diesem so ungewohnten und einzig bekömmlichen Selbstverständlichen in dieser Welt um uns vieles entgegensteht; dass wir am gängigen Halben und Schiefen erworbener Verhaltensmuster klebenbleiben und den klaren Worten des Einsichtigen ständig zuwiderhandeln. Dass uns demnach, wenn wir auf ihn hören wollten, ein langwieriger Lernprozess zugemutet sein könnte; ein Erwachen, Umblicken, Umdenken; eine Entwöhnung von unsern seriösen Albernheiten. Da bleiben wir lieber bedenkenlos verkehrt.


1 International Universities Press, New York 1949; Nachdruck ALFF, Tel Aviv 1966.
2 Insel-Verlag, Frankfurt 1968; 2. Auflage 1978, Suhrkamp-Taschenbuch 429.
3 Insel-Verlag 1977; 2. Auflage Suhrkamp Taschenbuch 663.
4 Insel-Verlag 1985